genial einfach oder einfach genial

Neben „Es kommt schon gut.“ ist „Alles Geniale ist einfacher Art.“ mein zweiter Lieblingssatz. Und beide treffen oft gleichzeitig zu. So wie jetzt.
Als ich vor über drei Jahren meine jetzige Wohnung ansah, war klar, dass mir die paar Treppenstufen mal das Leben schwer machen. Wann, war ungewiss. In einem Jahr oder in zehn Jahren? Als unverbesserliche Optimistin - und bezirzt vom wunderschönen Holzboden, den alten Türen und Fenstern - tippte ich auf Letzteres und unterschrieb den Mietvertrag.
Inzwischen sind die Türschwellen und Stufen vor der Haustür und im Haus mühsam geworden. Schon nach drei Jahren. Und so liess ich mögliche Optionen durch den Kopf gehen. Wie könnte ich mein Leben etwas einfacher machen? Aber, nichts wollte so recht gefallen. Dafür wurde mir klar, dass es zwei Bedingungen gibt, die nicht verhandelbar sind: Ich will weiterhin meine eigene Wohnung und ich will im Quartier bleiben, am besten in diesem Teil des Quartiers. Hier bin ich zu Hause. Und ich habe auch keine Lust, noch einmal von vorne anzufangen.
Und das macht es natürlich schwierig.

Die Lösung, die sich dann anbot, war einfach und genial und unkonventionell, wenn nicht sogar einfach ... (das richtige Wort habe ich bis jetzt noch nicht gefunden): die Alterssiedlung gleich um die Ecke, zwei Häuser weiter. An Ostern bekam ich den Prospekt in die Hände. Meine erste Reaktion war anders, als ich erwartet habe. Statt das Stück Papier entrüstet in den Abfalleimer zu werfen, dachte ich: Wieso eigentlich nicht. Abgesehen davon, dass ich einige Jahrzehnte zu jung bin, erfüllt diese Alterssiedlung meine nicht verhandelbaren Bedingungen.

Vier Wochen später, Anfang Mai, sah ich mir zusammen mit meiner Schwester eine der Zwei-Zimmer-Wohnungen an. Beide waren wir erst skeptisch und dann überrascht. Grosszügig, hell und mit Balkon und keine Türschwellen und Stufen weit und breit. Und wie der Zufall wollte, sollten bald zwei Wohnungen frei werden.
Ich wartete auf eine Grummeln meines Bauchs. wenigstens ein kleines Zeichen von Protest. Aber nichts passierte. Und das war eigentlich das Einzige, das mich irritierte.
Dass mich nichts irritierte.
Ich hatte nie vor, auch nicht im Hinterkopf, mal an so einen Ort zu ziehen. Schon gar nicht mit noch nicht mal 40. Das hat etwas Groteskes an sich. Aber ehrlich gesagt sehe ich das nicht so. Für mich ist es eher ein neues Abenteuer oder ein neues Projekt. Zumal man mir sagte, dass alle Jungen, die dort wohnten, Streit mit den Alten bekamen. Ist es nicht an der Zeit, das mal zu widerlegen?

So überzeugt ich war, so skeptisch waren meine Freunde. Ich redete mir den Mund wund, und fühlte mich wie ein Makler, der unbedingt ein unverkäufliches Objekt loswerden musste.
Inzwischen verstehe ich ihre Reaktion. Und vielleicht verstehen sie auch mich. Oder werden es mal tun. Ich versprach Ihnen und natürlich auch mir selber, dass es genauso gemütlich wird, wie es hier ist. Halt ohne Altbau-Charme.
Wie gesagt, ich liebe Herausforderungen.

Vor zwei Wochen hab ich zugesagt und warte jetzt auf den Mietvertrag. Mitte Juli kann ich umziehen. Und Erleichterung macht sich breit, neben Wehmut. Die farbigen Lichter im Brass-Garten, die ich von der Küche aus sehe, werden mir fehlen. Meine lieben Nachbarn sowieso, und andere grössere und kleinere Dinge.
Allzu viel Zeit für trübe Gedanken bleibt mir aber nicht. Sechs Wochen und ein paar Tage bleiben für ausmisten, Nachmieter suchen, einpacken, Helfer organisieren. Da sollte man sich lieber erst gar nicht fragen, wie man das alles hinbekommt. Und bisher, das heisst die letzten acht Mal, ging es auch irgendwie. Wobei die ersten drei nicht voll zählen, hatten meine Habseligkeiten doch bei Umzug Nummer eins in einem Migros-Einkaufswagen Platz und unser Auftritt im 19. Stock war oscarreif, und bei Umzug Nummer zwei und drei reichte ein Auto und eine einzige Fahrt.
Also fange ich jetzt mal an, mit aufräumen. Das könnte noch als Frühlingsputz durchgehen.

Apropos anfangen: „Wir sind ja keine improvisierenden Studis mehr.“, meinte Stef gestern und bot mir an, ein paar Zügelmänner zu spendieren. Abgesehen davon, dass mich sein Angebot freut, könnte jetzt durchaus der Zeitpunkt da sein, den Umzug etwas professioneller zu gestalten und etwas weniger als multikulti-improvisiertes Chaos. Wobei sich Chaos - mal mehr mal weniger - bisher nie vermeiden liess. Und irgendetwas wird auch diesmal schief gehen. Wenigsten zwei Dinge, auf die man sich verlassen kann.
Die wichtigste Nebensache habe ich schon erledigt: Die neuen Visitenkarten sind bestellt. Alles weitere folgt nadisna.

fremdes Afrika

Vor kurzem fragte mich eine Freundin: „Wann ist denn dein Buch fertig?“. Und ein lautes „Schluck“ ging mir durch den Kopf und erinnerte mich daran, wie meine Schwester und ich unsere Mutter mit Ausdrücken à la Donald Duck und Co. zur Weissglut brachten Schluck. Peng. Und Punkt.
Ich sagte nichts und streckte stattdessen alle zehn Finger in die Luft, und fügte einen Moment später „Jahre“ hinzu, ergänzt durch ein „mindestens“. Und beendete damit die Diskussion über mein Literatur-Projekt, bevor sie überhaupt beginnen konnte.
Auch wenn ich mich immer noch hin und wieder frage, wie ich das Ganze angehen soll. Wie aufbauen. Chronologisch? Oder eher chaotisch, in einzelnen Episoden? „Frau Duktoar“ hat mir wieder mal gezeigt, wie Erinnerungen, Eindrücke auf manchmal seltsame und schwierige nachvollziehbare Art miteinander verbunden sind. Es kommt immer wieder vor, dass ich in einer Situation einen Satz fallen lasse, oder eine Frage stelle, und mein Gegenüber mich nur komisch anschaut: „Wie kommst du denn darauf?“
Von der Brass via Kiel nach Wien, das ist eines. Aber warum der Abholungsschein seit fünf Tagen auf meinen Küchentisch liegt. ich weiss es nicht. Natürlich ist mir klar, wie er dorthin gekommen ist. Ich fischte ihn am Freitag nach dem Mittag aus dem Briefkasten, nachdem ich im Brass-Garten von den letzten trockenen Momenten profitierte und dabei prompt den Pösteler verpasste.
Vor zwei Wochen suchte ich in Amazon nach dem Buch meines Grossvaters „Afrika - Stammeskunst in Urwald und Savanne“. Nicht dass ich mich dafür interessiere. Eher im Gegenteil. Als Kind habe ich mich sogar gefürchtet vor all den Masken, und vor allem vor Figuren, die zum Teil doppelt so gross waren wie ich. Und Interesse kam auch später nicht auf. Afrika, so wie es sich im Haus meiner Grosseltern präsentierte, das war etwas jenseits von allem, was ich kannte. Etwas Abstraktes, Gesichtsloses. Und das hat sich auch nicht geändert, als ich vor gut acht Jahren Mohamed kennenlernte, der aus Westafrika geflohen ist. Es gab einfach keine Verbindung.
Aber ich gewöhnte mich daran. Und mit der Zeit würde das Fremde zu etwas Vertrautem, zu einer Kulisse. Wie all die Neben- und Hintergrundgeräusch, die man mit der Zeit nicht mehr bewusst wahrnimmt.
Mein Grossvater wäre gestern 105 Jahre alt geworden. Er starb vor gut vier Jahren mit fast 101. Die Beerdigung fand ausgerechnet am meinem letzten offiziellen Tag in Kiel statt. Als meine Möbel gegen Mittag abgeholt wurden und ich mich dann auf den Weg Richtung Süden machte. Damit hatte ich keine Möglichkeit, richtig Abschied zu nehmen von meinem Grossvater. Und das einzige Andenken an ihn ist eine etwa fünf Zentimeter grosse Maske aus Metall, die zum Vorschein kam nach meiner Rückkehr nach Bern. Ich bewahrte sie all die Jahre in einer Schachtel auf. Seit meinem letzten Umzug liegt sie auf dem Holzwurmtisch (das wäre auch mal ein gutes Thema) neben anderen kleinen Erinnerungsstücken. Und sie war wohl auch beteiligt am Gedankengang, der dazu führte, dass ich bei Amazon Marketplace für 27 Euro Grossvaters Buch, das Mitte der 80er Jahre herauskam, und schon seit längerem vergriffen ist, gekauft habe. Ein Schnäppchen.
Ich werde das gute Stück in die VItrine meines Küchenbuffets stellen. Wo Erinnerungen neben Vertrautem stehen.

Frau Duktoa is enthusiasmiert

Es scheint, als hätte mich der Brass-Garten wieder. Der Milchkaffee ist immer noch sehr heiss und prompt habe ich mir auch dieses Mal fast die Finger verbrannt. Und auch sonst hat sich nichts gross verändert. Ausser, dass mein blauer Tisch jetzt grau ist mit einem schwarzen Rand und einem niedlichen Hund drauf ergänzt durch zwei gekreuzte Knochen.

DSC00251 fuellung_grau1_2fuellung_grau1_2 DSC00254

Auch wenn mir das Design nicht so zusagt, es wird weiterhin mein Platz sein. Denn nirgends sitzt es sich schöner als auf der Holzbank unter dem rechten Baum.
Vor ein paar Wochen war noch alles kahl. Und dann begann es zu spriessen und blühen. Ich staune jedes Jahr wieder, mit welchem Tempo das vor sich geht. Damals in Kiel war es allerdings extremer. Die Verwandlung von Braun und Matschgrün zu frischem Grün und vorwiegend Gelb vollzog sich innert einer Woche. Und genau in jener Woche war ich in Wien an einem Kongress.
Eigentlich wollte ich nicht hingehen. Ich war noch nie in dieser Stadt. Wobei das unter normalen Umständen kein Thema wäre. Man ist ja flexibel. Nur eben waren die Umstände schon damals nicht mehr das, was man unter normal versteht. Und so sah ich vor meinem inneren Auge überall Treppen und andere Hindernisse, welche sich mir und dem Rollator in den Weg stellen. Aber solche trüben Gedankengänge ... da käme man ja nirgendwo hin. Und zudem wurde mir klar, je länger ich warte mit dem Ausprobieren (ob ich es bis ins Flugzeug schaffe oder sogar noch weiter), desto schwieriger wird es, mich zu überwinden. Weil dann alle möglichen und unmöglichen Probleme übergross und somit fast unüberwindbar erscheinen.
Also entschloss ich mich, doch nach Wien zu fliegen. Fast zu kurzfristig. Zwar waren Anmeldung und Flug kein Problem, aber viele Hotels waren ausgebucht. Die guten vor allem. Es war also nicht einfach, ein Zimmer zu finden. Und zwar eines, das nicht nur bezahlbar war, sondern auch noch meinen Ansprüchen genügte. Also entweder nahe beim Kongresszentrum, oder dann nahe einer Bus- oder U-Bahn-Station mit möglichst direkter Verbindung. Klingt unbescheiden. Aber Kongresse selber sind anstrengend genug. Wenn man vom Hotel aus eine halbe Stunde laufen muss, ist das einfach nur mühsam.
Jedenfalls hatte ich Glück und fand ein Zimmer im
Johann Strauss. Teuer, aber ideal gelegen, mit U-Bahn-Station gleich vor der Haustür mit Namen, wie könnte es anders sein: „Taubstummengasse“. Was will eine ertaubte Physikerin mehr.
Das fanden auch andere:
W-e-il in dem ****Hotel so viel inkludiert iis, wird die gnädige Frau Duktoa enthusiasmiert s-e-in, dort ihren Aufenthalt zu nehmen. M-e-inen's nicht aa?

Die Reise verlief problemlos. Es hat sich unter anderem bewährt, dass ich mich am Flughafen einfach in die Reihe mit den Kinderwagen stellte und schaute, was passiert. Statt mir also den Kopf zu zerbrechen, wie man mögliche Probleme lösen könnte, betreibe ich lieber eine Art Feldforschung. Manchmal mit erstaunlichen Ergebnissen.
Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Am Montag Morgen machte ich mich auf den Weg zur U-Bahn-Station, leicht nervös. Und prompt fand ich den Lift nicht. Und mit der Treppe konnte ich nichts anfangen. Also ging ich zurück zum Hotel und bestellte mir ein Taxi. Statt Stress in der U-Bahn kam ich in den Genuss einer kurzen Stadtrundfahrt. Und es war das einzige Mal, dass ich das Riesenrad zu Gesicht bekam, von weitem, aber immerhin. Einer der grossen Nachteil der U-Bahn liegt auf der Hand: von der Stadt sieht man nicht viel.
Da man nicht zum ersten Mal in Wien sein kann und nur die U-Bahn und das Austria Center zu Gesicht bekommen, hat mir Martin, ein deutscher Arbeitskollege, vorgeschlagen, einen Tag lang die Stadt anzusehen. Museen, Kaffeehäuser, Gärten. Und ein Stück Sachertorte durfte auch nicht fehlen.
Und das taten wir dann auch, am Mittwoch (bevor ich am nächsten Tag nach Hamburg zurück flog). Morgens um neun Uhr zogen wir los, und gegen halb sieben abends waren wir wieder zurück. Und ich war erledigt, aber zufrieden.
Martin, immer noch fit, besuchte dann am Abend eine Vorstellung von Gunkl. Den Text bekam ich dann ein paar Tage später per Mail. Ein schöner Abschluss meines Wien-Ausflugs.

Eben habe ich die Webseite von
Gunkl wiedergefunden (nachdem mir zuerst sein Name wieder einfallen musste) und damit auch den Text.

Und das geht so:

Ich muß mich jetzt genug konzentrieren,
damit ich diese quasimetasprachliche Geschichte halbwegs glaubwürdig und nachvollziehbar auf die Bühne stell´.
Ein irrsinnig kompliziertes Programm
 

Schönen Abend, ich verrat Ihnen gleich jetzt, wie’s ausgeht; ich werde sterben, und Sie werden sterben, die Sonne wird irgendwann aufhören zu scheinen, und das Universum wird später in sich zusammenstürzen. ... - weiter