Winter-Märchen

Nach einer ersten kleinen Odyssee - knapp zwei Jahre im einen Studentenhaus (auch „Sanatorium“ genannt, allerdings nicht von mir) in Bümpliz Nord, dann weitere zwei Jahre im Tscharnergut, dem anderem Studentenhaus im 19. Stock mit dreimonatigem Unterbruch während der Sommersemesterferien wegen Renovation, in dieser Zeit wohnte ich in einer christlichen Frauen-WG in Muri, gleich gegenüber der nordkoreanischen Botschaft - also, fangen wir noch mal an.
Nach einer ersten kleinen Odyssee und es sollte nicht die letzte bleiben, zog ich in meine erste Wohnung. Und dort blieb ich sieben Jahre lang. Ein Rekord, den ich wohl nicht mehr knacken werde.
Ich scheine einfach gerne umzuziehen. Könnte man meinen.
In Wirklichkeit, wenn ich nicht gerade wie im Herbst 2002 rausgeworfen wurde, war es nötig, meine häusliche Umgebung meiner physischen Verfassung anzupassen. Das hatte zur Folge, dass ich hier in der Lorraine im Uhrzeigersinn jeweils drei bzw. zwei Häuser weiterzog, vom zweiten Stock ohne Lift ins Hochparterre und dann wieder in den zweiten Stock, mit Lift.
Nur die Aussicht änderte sich jeweils etwas.

Aber, mir ging ursprünglich etwas anderes durch den Kopf.
Nämlich: Winter, obwohl er offiziell noch gar nicht begonnen hat, Schnee, und noch mehr Schnee. Und da fiel mir der erste Winter in meiner ersten Wohnung ein. Kaum waren wir, ein Studienkollege und ich, Ende November eingezogen, begann es zu schneien, Und es schneite, und alles versank im Schnee. Wenn man am Rand eines grossen Walds wohnt, und es vor dem Haus neben dem üblichen Rasen und Gemüsegarten, der eher etwas unüblichen Riesensammlung Gartenzwerge auch noch einige Reihe Reben hat und alles versinkt im Schnee, dann hat das durchaus etwas Zauberhaftes, fast Märchenhaftes an sich.
Ich fühlte mich trotz anstehender Mathematik-Prüfung im Frühling darauf den ganzen Winter über wie in den Ferien. Das Einzige, das fehlte: wir schnallten uns nicht die Skier an für die Strecke zum Postauto. Schade eigentlich.
Dafür wurden am frühen Morgen ein dicker Pullover, Schuhe, Schal und Handschuhe übers Pyjama angezogen und dann ging es in den provisorischen Anbau hinter dem Haus, wo neben allerlei Gerümpel auch das Holz gelagert war.
Man erinnere sich: Mitte der 90er Jahre war die Arbeitslosigkeit recht hoch und dementsprechend zahlreich waren die Beschäftigungsprogramme. Und darunter war eines, das Feuerholz anbot. Rentner, Sozialhilfeempfänger und Studenten bezahlten 50 Franken pro Ster. Nur selber im Wald sammeln wäre noch billiger gewesen. Und tatsächlich gab es Leute, die nur darauf warteten, dass wir mit dem Leiterwagen loszogen. Aber auch Märchen haben ihre Grenzen..
Wir versuchten also die Wohnung mit Hilfe des Holzofens warm zu bekommen und liessen die stromfressenden Elektroofen links liegen. Dafür kauften wir noch ein paar Kartons Traubenkernenbriketts. Sie brannten zwar gut, aber der Geruch ... er war überall und seltsam. Nicht mal mit viel Fantasie konnte man ihn als charmant südländisch verkaufen. Aber alles, was sich dem Ofen füttern liess, war willkommnen.
Gefroren habe ich trotzdem. Obwohl wir uns grosse Mühe gaben, schnell zu lernen, wie man ein anständiges Feuer hinbekommt und es auch am Leben erhält. Und zwar so, dass man tagsüber und nachts die Eichenscheite und die Briketts auf die Glut legen und sicher sein könnte, dass daraus Asche wurde. Und davon abgesehen, was gibt es Schöneres als tieforange Glut und blaue Flammen.
Dummerweise verteilte sich die Wärme sehr schlecht. Und dazu kam, dass sich die Farbe der Wände langsam aber sicher von hellgrau in eine dunkelgrau verwandelten. Und vom Geruch schon gar nicht zu reden. Obwohl ich später, als ich dort dann alleine wohnte, die Elektroofen vermehrt zum Einsatz kamen, roch ich doch die ganzen sieben Jahre über nach geräuchertem was-auch-immer.

Nach diesem wunderbaren Winter kam der Frühling. Der Schnee schmolz endgültig und brachte die Gartenzwerge zum Vorschein. Und ich brachte die Mathematikprüfung mit Ach und Krach über die Bühne.
Es wurde Sommer, Herbst. Und dann kam der Winter wieder. Aber das Märchenhafte blieb aus. Ich spaltete immer noch am Morgen Holz zum Anfeuern. Nur, so wie es im ersten Winter war, wurde es nicht mehr.
Als der zweite Frühling kam, zog Jojo, mein Kater, ein, und ein neues Kapitel begann, das vier Jahre dauern sollte.