Einmaliges

Was für Stef das Kuriositätenalbum ist für mich meine Wohnung. Ein Sammelsurium von Möglichem und Unmöglichem. So stand eine Zeit lang ein alter Waschtrog im Wohnzimmer. gefüllt mit Pflanzen. Auf die Dauer war mir das dann doch zu schräg, und ich brachte ihn zurück.

Das Angebot der Brockenstube der Heilsarmee war gross (und das wird sich nicht geändert haben). Ein Paradies. Das gleich neben meiner Bushaltestelle lag. Und so ging ich oft auf dem Heimweg dort shoppen. Besonders an Tagen, die frustrierend waren. Andere Frauen kaufen Kleider. Ich kaufte eine Wasserkaraffe aus Glas, die auch eine Vase sein könnte (und jetzt auch so eingesetzt wird). Oder ein Passe-Vite (nie war die Kürbissuppe besser). Und meine Laune hob sich schlagartig.
Vieles, das ich in den ersten Monaten nach dem Einzug in meine erste Wohnung erstand, ist mir bis heute treu geblieben. Vor allem Grundlegendes wie Besteck und Geschirr. Nichts davon will so recht zusammen passen. Aber im Laufe der Zeit haben sich die Dinge von selber zusammengerauft.

Man könnte meinen, meine Brocki-Phase sei mit dem Überreichen des Diploms zu Ende gegangen. Aber nicht mal grosses D, kleines r und Punkt haben mich davon abgehalten, weiter nach Krempel Ausschau zu halten. Bis heute. Und ich halte Habseligkeiten weiterhin die Treue. Wieso sollte etwas plötzlich nicht mehr gut genug sein. Zudem mag ich Dinge mit einer Geschichte. Auch wenn ich sie nicht kenne.

Immer, wenn ich umziehe, ist es selbstverständlich, dass ich die sieben Messer, sechs Gabeln und so weiter (ich habe sie mal gezählt, aber es ist so lange her und nicht weiter wichtig, also habe ich es vergessen) einpacke und in der neuen Küche auspacke und in einer der Schubladen verstaue.
Fast scheint es, als ob es eine Art „Deadline“ gibt. Danach fällt es immer schwerer, sich von Dingen zu trennen, die alt sind und oft nicht mal schön, die aber einfach dazu gehören. Und so ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den nächsten Jahren neues Besteck kaufe praktisch gleich null. Und das ist gut so.

Als ich Anfang 2007 hier einzog, inspizierte Adrian den Estrich und schleppte etwas an, das alles in den Schatten stellte und immer noch stellt. Eine Art Überseekoffer aus den 30er Jahren. Er steht im Gästezimmer. Immer noch schmutzig, weil ich nicht weiss, wie ich ihn sauber bekomme, ohne dass die Etiketten kaputt gehen oder abfallen.

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Ich könnte ihn jetzt auch wieder zurück stellen. Aber höchstwahrscheinlich endet er dann mal als Sperrmüll landet. Und das wäre doch schade. Denn der Koffer symbolisiert nicht nur die grosse weite Welt, sondern auch längst vergangenen Zeiten. Als das Gepäck noch aus Holz, Jute und Eisenbeschlägen bestand und auf einem Dampfer in die Staaten reiste. Von Antwerpen aus, wie einer der kleinen Zettel belegt.

Lange überlegen muss ich nicht. Ich werde ihn behalten. Vielleicht kann er, wenn er mal sauber ist, als Stauraum dienen. Oder er steht einfach da und ist, was er ist. Ein Koffer.

Theorie und Etty

Es will immer noch nicht so recht klappen mit dem Schreiben. An manchen Tagen passt kein Satz zum anderen. Und dann wieder läuft es wie von selber. Ich schreibe den Text in einem Mal, korrigiere ihn, und ändere diese und jene Kleinigkeit. Und das Resultat ist mal besser, mal schlechter. Aber es ist. Und das ist die Hauptsache.
Andererseits erreicht man eine gewisse Konstanz nur mit Üben. Ich habe mir schon mehrmals vorgenommen, täglich eine gewisse Zeit zu schreiben. Ohne dabei ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Dann ist auch der Anspruch, gleich etwas Druckreifes aus dem Ärmel schütteln zu müssen, weg.
Nur mit der Disziplin hapert es noch.

In letzter Zeit denke ich wieder öfters über ein Buch nach. Ein Buch, das mein Buch werden könnte, über das Aussehen, über den Aufbau. Und vor kurzem fiel mir das Prinzip des Hologramms ein (nach langer Zeit), vor allem den einen Aspekt: wenn ein Hologramm zerteilt wird, kommt bei der Rekonstruktion aus einem Teil immer noch das ganze Bild zustande, wenn auch mit geringerer Schärfe.

Es könnte spannend sein, so etwas zu versuchen, also hologramm-mässig zu schreiben. Lauter kleine Geschichten, Episoden. Die ein Ganzes sind und gleichzeitig Teil des Ganzen. Und das Buch hätte keine ausgeprägte Richtung. Man könnte also die Geschichten in beliebiger Reihenfolge lesen. Ob ich mir da zu viel vornehme? Jetzt gerade würde ich mit „Ja“ antworten. Und etwas später könnte ich einfach mal anfangen. Parallel zu dem hier, meinem Nicht-Blog.
Das zum Thema „Theorie“.

Dazu fällt mir
Etty ein. In ihrem Tagebuch schreibt sie - übersetzen ist gar nicht so einfach, aber ich versuche es mal: “Ich könnte Kapitel schreiben darüber, wie ich gerne schreiben möchte. Und es kann gut möglich sein, dass ich abgesehen von Rezepten kein Wort aufs Papier setze.“
Und beim Betrachten von japanischen Bildern: “Auf einmal wusste ich es wieder. So möchte ich schreiben. Mit so viel Raum um ein paar Worte. Ich hasse zu viele Worte.“ ... „Sollte ich jemals schreiben - was eigentlich -, dann möchte ich einzelne Worte malen auf einen wortlosen Hintergrund.“ ... „Und der Stille, die durchaus eine Seele hat, Raum geben.“

James Joyce vs. Stephanie Plum

Wenn man ausmistet, ist es von Vorteil, den Kopf auszuschalten. Denn sobald sich der Kopf einschaltet, kann man sich von nichts trennen. Dann bleiben die Wälzer von Tolstoi und Dostojewski weiterhin im Büchergestell. Neben Kafkas „Gesammelte Werke“, die man in einem Anfall von „muss man doch mal gelesen haben“ gekauft hat. Und neben „Der Zauberberg“ von Mann, der immer wieder mal zur Sprache kommt - vor allem das „Reissen Sie sich zusammen“ oder ähnlich, und ich habe immer nur gelacht. Aber bis heute bin ich nicht sicher, ob ich überhaupt bis zu eben dieser Stelle kam. Klar ist, ich kapitulierte vor der letzten Seite, und zwar ziemlich viele Seiten vorher. Zu lange Sätze, zu umfangreich.

Mittlerweile ist mein Büchergestell, also der Inhalt - natürlich -, ehrlicher geworden, und wahrscheinlich auch etwas ... enttäuschender? Aber ab einem gewissen Alter scheint das Bedürfnis, seine Bildung zur Schau stellen zu wollen, abzunehmen. Genauso wie nach einem Tag Beschäftigung mit Kolonnen von Zahlen und theoretischen Modellen am Abend der Wunsch nach Entspannung und Unterhaltung zunimmt. Und so haben Ulysses und Co. (ich staune, was ich mir so vorgenommen habe in meinen 20er Jahren ...) das Nachsehen.
Als tröstlich empfinde ich, dass es eh unmöglich ist, sich durch alles, was sich unter Weltliteratur angesammelt hat in all den Jahrhunderten, durchzulesen. jedenfalls nicht in einem Leben.

Meine Schwester und ich tauschen in letzter Zeit oft Romane von amerikanischen Autorinnen aus, die so amüsant und gut erzählen, dass man meint, einen Film in Buchform vor sich zu haben. Da bekommt das „Eintauchen in“ gleich eine ganz neue Bedeutung.
Zur Abwechslung warten jetzt die Krimis von Stieg Larsson auf mich. Zwei Freundinnen haben sie mir empfohlen, fast gleichzeitig. Ein gutes Omen? Jedenfalls gefällt mir, was ich bisher gelesen habe. Und falls es mal so weit kommt, dass ich die Grenze zur Sucht überschritten habe, gibt es ja noch mehr zum Lesen von ihm. Leider nicht so viel, wie ursprünglich geplant war.

Ebenfalls eine Entdeckung könnte Kathy Reichs sein und ihre Dr. Temperance „Tempe“ Brennan, eine forensische Anthropologin, die am gerichtsmedizinischen Institut von Montreal arbeitet. Könnte spannend sein.

Meine zur Zeit liebste Vorstellung: Ich sehe mich auf meinem Balkon (manchmal ist das eben doch praktisch, so als Ergänzung zum Garten der Brasserie) im Korbstuhl sitzen, neben einem Stapel Bücher auf der weissen Holzbank. Und die alte, inzwischen recht verrostete Petroleumlampe (erstaunlich, was der Estrich hier so alles bietet) brennt. Und die Mücken stechen. Lagerfeuer-Romantik light mitten in der Stadt.
Nur noch fünf Wochen bis dahin.

Eben bekam ich eine Mail von Amazon. Der neuste Stephanie-Plum-Roman wird früher geliefert als angekündigt. Und wenn er da ist, gönne ich mir eine kurze Einpack-Ausmist-Pause, bis ich mich durch das neuste Abenteuer der schusseligen Möchtegerne-Kopfgeldjägerin gelesen habe. Wie die American-Football-Bücher sind die Plums ebenfalls nicht das, was man unter anspruchsvoller Literatur versteht. Aber amüsant und mit einer Heldin, die alles andere als perfekt ist, und deshalb erfrischend und realistisch. Zudem besteht Plums grösstes Problem darin, das sie sich nicht so recht entscheiden kann zwischen zwei (Bildern von) Männern. Da seufzt man nur und denkt, mit Problemen solcher Art lässt es sich bestimmt ganz gut leben.

Passez-moi

Es ist eine Gratwanderung, wie mir wieder mal aufgefallen ist. Ich lasse beim Schreiben gerne mal etwas weg oder töne es nur an. Man muss nicht immer alles aussprechen.
Andererseits sind die kleinen feinen Details wichtig, wenn man Situationen, Gespräche und kleine Episoden beschreibt. Vieles läuft über Mimik und Gestik. Und die wiederzugeben ist oft schwierig. Worauf muss man achten, und wie findet man die richtigen Worte?
Oft will es einfach nicht gelingen. so wie letzten Freitag Abend. Ich hatte die Szene vor Augen, aber ich brachte sie nicht aufs Papier. Ob eine gewisse zeitliche Distanz hilfreich ist? Reichen zwei, drei Tage?

Also nehme ich jetzt noch einmal einen Anlauf.
Egal, über was Stef und ich uns unterhalten, es läuft oft - und meistens gegen Ende der Diskussion als würdiger Abschluss - auf das Ernennen des Wortes des Tages heraus. Oder darauf, welche Wörter und Sätze es verdienen, in sein Kuriositätenalbum aufgenommen zu werden. Allerdings ist mir auch nach über 15 Jahren schleierhaft, welche Kriterien erfüllt werden müssen. Gibt es überhaupt welche? Oder spielen die aktuelle Laune und damit der Sinn für Humor, das Wetter und andere nicht vorhersehbare Einflüsse eine Rolle?
„Holzwurmtisch“ hätte es zu einem anderen Zeitpunkt kaum in sein Album geschafft. Zumal dieses Wort schon länger ein fester Bestandteil meines Wortschatzes ist und regelmässig zum Einsatz kommt. Und daher eigentlich gar nicht mehr so originell ist. Aber wie war das schon wieder mit der Laune?

Umgekehrt hätte ich sein „Passez-moi“ zu anderen Zeiten weit weniger lustig gefunden.
Wir sahen uns meine neue Visitenkarte an. Eigentlich gibt es da nichts zu bewundern. Visitenkarten sehen ja immer so aus wie Visitenarten eben aussehen. Nur hatte ich an Stelle von „Tel.“ und meiner Festnetznummer „Schreibtel.“ und die Nummer der
Procom, der Vermittlung für Hörbehinderte, angegeben, eine 0844 Nummer. Stef tippte darauf. „Witzig.“.

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Ob das denn wirklich reicht, als Information, wollte ich wissen. Er lachte. „Klar, die kennen dich.“. Er formte seine linke Hand zu einem Telefonhörer, neigte den Kopf zu Seite und verzog seinen Mund zu einem leichten Grinsen. Sein „Passez-moi ...“ konnte ich förmlich hören. Und dann ich lachte auch: „Meine Sekretärinnen.“, und nach einer kurzen Pause: „Doch, das gefällt mir.“ Ein
Verbinden Sie mich bitte mit ..., das hat wirklich etwas.

Apropos kennen: Ich nehme schon an, dass sie mich kennen. Bei der Vermittlung meine ich. Nach zwanzig Jahren. Und dazu kommt, daaa es nicht viele „Täubchen“ gibt, die sich lang und breit über Musik unterhalten, zum Beispiel. Oder über andere eher unübliche Themen. Wenn die Vermittlerinnen schon Tag und Nacht und an Feiertagen arbeiten, dann kann man sich ab und zu revanchieren, in Form eines Gesprächs, das über „Wie ist denn das Wetter bei Euch, regnet es immer noch?“ oder „Oh, mein Ischias plagt mich wieder.“ hinaus geht. Und so werden wir weiterhin für Unterhaltung sorgen. Und ich werde die Hoffnung nicht aufgeben, dass man mir all die Tippfehler verzeiht, für deren Häufigkeit gilt: je später der Abend … desto heiterer das Raten.