Tom & Jerry-like

Nie hätte ich gedacht, dass ein verknackster Fuss Grund genug ist für eine ausgewachsene Schreibblockade.
Eigentlich könnte man das Gegenteil annehmen. Denn man hat viel Zeit, wenn man so dasitzt oder daliegt, einen Eisbeutel auf dem Fussrücken balanciert und an den armen Tom am Klavier denkt und an Jerry, der mit voller Wucht den Deckel zuhaut. Wobei in meinem Fall kein Klavier beteiligt war und auch keine Hände, was noch schlimmer wäre. Wie tippt man mit geschwollenen Fingern?
Also nur ein dicker Fuss. Der aber völlig ausreicht, um meinen Gedanken eine äusserst düstere Färbung zu geben. Und düstere Gedanken sind nun mal keine gute Basis für „unterhaltsames Schreiben“. Und unterhaltsam, zumindest etwas, will man doch sein. Auch sich selber zuliebe, Oder sind Themen wie das allgemeine Unglücklichsein doch spannender? Laut Tolstoi könnte das durchaus so sein. Wie mir gerade einfällt. Sonst würde er „Anna Karenina“ nicht
so beginnen lassen (sinngemäss, ich habe das Buch schon lange nicht mehr gelesen, leider, es ist grossartig; aber dazu müsste ich den Keller fertig ausmisten und so weiter): „Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich. Unglücklich ist jede auf ihre Art.“
Aber was soll‘s. Ich habe einfach keine Lust, gross zu jammern. Also lasse ich das Schreiben vorerst, bis die interessanten Gedanken wieder in der Überzahl sind, und haue ... Nein, noch nicht. Denn etwas fehlt nämlich noch:
Die ersten Blumen dieses Jahres am Blumenweg.

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Gut, man braucht etwas Fantasie. Aber zumindest das fast in der Mitte könnte doch als Tulpe durchgehen?
Es ist eh bald fertig mit blühen an der Fassade des Nachbarhauses. Spätestens dann, wenn der Hausverwalter eingreift und Farbe und Pinsel bestellt inklusive Maler, und Platz schaffen lässt für neue „Kunst am Bau“. Aber bis dahin wird die Natur für Ersatz gesorgt haben. Morgen beginnt ja offiziell der Frühling

Und jetzt kann ich guten Gewissens den Laptopdeckel zuhauen.

Träume und Chai Latte

Vor jedem Geburtstag und jedes Mal in der Adventszeit fragt mich meine Mutter mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit: „Was wünschst du dir denn?“ Und ich antworte ihr - ebenfalls hartnäckig, ich bin ja ihre Tochter: „Keine Ahnung.“
Was aber, trotz Hartnäckigkeit, nicht ganz stimmt. Ich hatte immer Wünsch und Träume. Und das ist auch jetzt noch so. Aber müssen sie immer erfüllt werden? Und immer sofort?
Wenn ich auf dem Weg zur Münsterplattform durch die untere Altstadt gehe, schaue ich jeweils in die Schaufenster der kleinen Schmuckateliers an. Und ein paar Mal war ich nahe daran, hineinzugehen und mir meinen Wunsch zu erfüllen. Einen Ring. Das mag banal klingen. Für jeden, der verheiratet ist, erst recht.
Schlicht, sieben oder acht Millimeter breit, die Oberfläche etwas gerundet, matt, aus Silber, oder doch aus Platin?
Jedenfalls mochte ich diesen Wunsch und ich mag ihn immer noch. Aber ich unternahm bisher nie etwas, um ihn zu erfüllen. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil ... Nun, wenn die Zeit reif ist, verwirklicht sich ein Traum wie von selber. Man muss Geduld haben, warten können. Man muss aber auch wissen, dass es keine Garantie gibt, dass sich das Warten auch lohnt. Vielleicht sind gewisse Wünsche und Träume einfach dazu da, Wünsche und Träume zu sein und es zu bleiben. Sie schlummern irgendwo. Und hin und wieder kommen sie an die Oberfläche, ins Bewusstsein und dann denkt man: „Ach ja, Euch gibt es ja auch noch.“ Und man freut sich wie über ein Wiedersehen mit lieb gewonnen Menschen, die man leider viel zu selten sieht.

Gestern gegen Abend stand mein neuer Nachbar vor meiner Wohnungstür. Fikreta, die auch gerade da war, hatte ihm geöffnet. Wie sie mir später erzählte, meinte sie zu ihm: „Nein, das bin ich nicht. Sie sitzt in der Küche“. Also sass er kurz darauf an meinem Küchentisch und wurde von mir mit einer Slapstick-Einlage gegrüsst. Ich schob meinen Laptop etwas von mir und warf so die fast volle Kaffeetasse um und, ja, peinlich. Andererseits geht nichts über einen bleibenden ersten Eindruck. Im besten Fall ist er auch noch gut. Ws ich aber in diesem Fall bezweifeln möchte.
Nach dem Aufputzen kochten wir eine neue Kanne Kaffee. Ich war müde. Und dann war da noch dieses kleine Malheur. Das sind nicht die besten Voraussetzungen, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Erst recht nicht, wenn man dank fehlender Ohren die einleitende Erklärung verpasst hat. Der Groschen fiel dann trotzdem. Und nachdem wir uns vorgestellt hatten, fragte ich - unüblich für mich -, was er denn arbeitet. „Goldschmied“ tönte es. Und da kam mir mein Ring in den Sinn, und ich fragte mich, ob jetzt der Moment gekommen ist. Eben
der Moment. Also erzählte ich ihm, was ich mir so vorstellte. “Silber, aber matt. Das heisst, eigentlich gefällt mir Platin am besten.“ Ich bat ihn um eine Art Kostenvoranschlag, „also in welcher Grössenordnung? 10, 100, 1000, 10000?“ Der Preis, den er nannte, war etwa das, was ich erwartet habe. Also recht viel. Aber wieso sollte ich mir das nicht leisten? Seit mich die IV mit einer lächerlichen Rente abspeist, sitzt das Geld viel lockerer. Eine seltsame Reaktion. Und, wie ich heute erfuhr, dank meines Bezugs von Ergänzungsleistungen (ich weiss allerdings immer noch nicht, wie hoch die ausfallen werden, also tief meine ich, denn Optimismus ist da eindeutig fehl am Platz.) sind die Kosten für die Haushalthilfe ab Anfang Jahr um 50% gestiegen. Also ist es wohl sinnlos, sich noch gross Sorgen zu machen. Und statt frustriert zu sein, gönne ich mir etwas. Nach dem Prinzip „actio - reactio“, wie man schon im Sandkasten praktisch lernte, und in der Schule dann theoretisch: Selbst die Neandertaler wussten es bestimmt anzuwenden: „Brate ich dir mit der Keule eines über, brätst du mir...“. ...
Und weil das mit dem Überbraten so eine Sache ist, suche ich ein anderes Ventil.

Am späten Abend, er war schon lange wieder weg und ich hatte schon eine Runde Schlaf hinter mir, setzte ich mich mit einer Migros Chai Latte an den Küchentisch, und machte ein paar Skizze vom Ring inklusive Finger.
Ob das was wird? Wenn er eh genug zu tun hat, oder kein Interesse, wohl nicht. Andererseits glaube ich schon lange nicht mehr an Zufälle - auch wenn es hart sein kann dieses „Nichts ist Zufall“,

Inzwischen haben wird zwei SMS ausgetauscht und es ist klar, wir fangen nächste Woche mal an mit unserem Projekt. Es könnte also durchaus
der Moment gekommen sein. Jedenfalls für den Ring.
Ihr werdet sicher wieder davon lesen.


Chai Latte

Apropos Chai Latte: Es scheint sich herum gesprochen zu haben, dass ich das Zucker-Zimt-Gesöff liebe. Und dass es im kleinen Lorraine Migros (noch?) nicht erhältlich ist. Also ist es zu einem der beliebtesten Mitbringsel avanciert. Wie man sieht.
(Die achte Schachtel ist versteckt.)

Abschiede und ein Anfang

Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich hasse Abschiede. Und so gehe ich einfach mit einem knappen „Bis bald“, je nachdem begleitet von einer kurzen Umarmung oder einem Händedruck. Bloss nicht sentimental werden.
Ich weiss, dass es unhöflich ist zu gehen, ohne ein Apéro zu veranstalten. Aber das hasse ich auch. Es ist stinklangweilig. Und vom Wein bekommt man Kopfweh, von den Chips und Nüssli wird einem schlecht. Ganz ohne kam ich aber nicht weg. Nach meinem Diss-Vortrag wäre es ein Fauxpas sondergleichen gewesen, hätte ich die Leute nicht verköstigt. Und was übrig blieb, assen und tranken wir zehn Tage später an einem kleinen Fest in der Sandwich-Bar. Das Wetter war herrlich und die Tage waren lang (es war Anfang Juli) und so sassen wir fast bis Mitternacht draussen unter der Rosskastanie, Kerzen und Petroleumlampen brannten und Mücken stachen.

Fast zwei Monate später sass ich wieder dort. Wir waren nur zu sechst, am Abend vor der Abreise nach Kiel. Ein weiterer Abschied, ein weiteres „Bis bald“. Sie schenkten mir eine aufblasbare Tulpe und eine Karte, auf die die ältere Tochter die Familie gezeichnet. So konnte ich sie mitnehmen, wenigstens auf Papier. Und die Karte erhielt dann einen Ehrenplatz in der Küche.

Als ich dann ein Jahr und sieben Monate später im Eiltempo meine Sachen packte, gab es nicht mal ein kleines Beisammensein unter einer Rosskastanie. Auch deshalb, weil es dort oben keine wohl gar keine Rosskastanien gibt. Aber der Hauptgrund war, dass ich einfach nicht warm wurde, weder mit der Stadt noch mit den Leuten. Es war nicht mein Ort. Und so ging ich an einem Freitag Ende März. Genau an dem Tag, an dem mein Grossvater beerdigt wurde, Tausend Kilometer südlich und knapp eineinhalb Monate vor seinem 101. Geburtstag.
Ich ging ohne zurückzuschauen. Nachdem ich die Wohnungstüre abgeschlossen hatte, warf ich den Schlüssel durch den Briefschlitz, und setzte mich ein letztes Mal ins „Zebra“. Ein letztes Mal warmer Apfelkuchen mit Zimtglacé und Milchkaffee mit einer Prise Zimt.

Zweieinhalb Jahre später im August 2008 endete mein Stipendium. Und mit ihm all das, was mit Forschung zu tun hat. Mein Doktorvater hörte praktisch gleichzeitig auf. Ich traf ihn im Kaffeeraum Anfang August. Die Sekretärin hatte mir verraten, dass er an jenem Tag sein Büro fertig ausräumt. Auf meine Frage, wann er seine Abschiedsvorlesung hält, meinte er „Schampar nett. Aber ...“ Grosse Abgänge scheinen auch nicht so sein Ding zu sein. Und so waren wir schon zwei, die sich ohne grossen Klimbim aus dem Staub machten.

Und dann vor drei Tagen meldete sich mein Arbeitskollege, der seit ein paar Jahren unfreiwillig in Deutschland arbeitet. Wir sprachen über die Publikation, die wir beide noch im Hinterkopf haben. es war meine letzte Arbeit. Somit hängt alles noch in der Luft, und der Abschied wird sich noch eine Weile in die Länge ziehen.
Ob das gut ist? Nach über zehn Jahren fällt es schwer loszulassen. Vor allem, wenn man das, was man loslassen muss, gerne gemacht hat.
Ich denke gerade an die Anfangszeit damals. An den Katzentisch im Büro 113. Er stand vor der Türe und jeder schaute beim Reinkommen direkt auf meinen Bildschirm. Der war elf Zoll gross. An ihm hing ein aufgerüsteter 386er mit Windows 95. Das kann man sich jetzt kaum mehr vorstellen. Auch nicht, dass es erst dreizehn Jahren her ist. Aber das ist eine andere Story, die ich später mal erzählen könnte. Vielleicht. Wenn es gerade passt.

Wieso ich an Abschiede und meinen Problemen damit dachte? Weil ich mich auch mit Anfängen, die ja dazu gehören, schwer tue. Wenn ich mich mal eingerichtet habe, sollte alles so bleiben. Für immer. Aber so funktioniert das Leben nun mal nicht.
Dennoch. Neu anfangen ist nicht einfach. Ich brauchte sechs oder sogar sieben Anläufe für diesen Text. Entweder gefiel mir nicht, was ich schrieb. Oder ich kritzelte meine Ideen abends spät auf ein Stück Papier und am nächsten Morgen fand ich es zu viel verlangt, meine Schrift zu entziffern.
Dann, kurz vor dem Resignieren, versuchte ich es jetzt noch einmal. Und ... doch jetzt scheint endlich ein Anfang da. Ob es weiter geht? Es gibt jedenfalls genug Themen, über die man sich Gedanken machen kann, die wichtig sind. Man muss nur lernen, sie auszudrücken.

Noch eine Bemerkung zu Namen: Es ist eine kleine Blödelei, und geklaut bei
Magritte. Ist es oder ist es doch nicht?

Und so lange mir nichts anderes einfällt, bleibt das „Ceci“,
In diesem Sinn. A plus!