Sonnenstürme und Weltraumwetter

Schon bald nach der Erfindung des Fernrohrs beobachteten anfangs des 17. Jahrhunderts vier unabhängige Forscher, unter ihnen Galileo Galilei
[1], dunkle Flecken auf der Sonnenscheibe. Rund 200 Jahre später entdeckte der Amateurastronom Samuel Heinrich Schwabe, dass die Anzahl der Sonnenflecken mit einer Periode von etwa elf Jahren zu- und abnimmt. Bereits 1848 definierte Rudolf Wolf die relative Sonnenfleckenzahl [2], deren Monatsmittel auch heute noch als Mass der Sonnenaktivität gebräuchlich ist.
Die Sonnenaktivität hängt mit der Umstrukturierung des im Sonneninnern erzeugten Magnetfeldes zusammen. Alle elf Jahre kehrt sich die Orientierung des solaren magnetischen Dipols um. Das Magnetfeld an der Sonnenoberfläche richtet sich um das Aktivitätsmaximum neu aus und gibt an die hochionisierte Sonnenatmosphäre Energie ab [3].
In dieser Phase werden in magnetisch aktiven Regionen vermehrt Blitze, so genannte Flares, beobachtet. Innerhalb weniger Minuten werden grosse Mengen Energie in Form von energiereichen Teilchen (hauptsächlich Protonen und Elektronen sowie wenige schwerere, geladene Teilchen) und als Gamma- und Röntgenstrahlung freigesetzt. Flares werden nach ihrer maximalen Röntgen-Strahlungsintensität klassifiziert [4]. Ihre jeweilige Häufigkeit korreliert nahezu mit der Anzahl Sonnenflecken. Während des Maximums der Sonnenaktivität geht jedoch kurzzeitig die Zahl der intensivsten Flares (Klasse X und M) zurück.
Intensive Flares sind oft, aber nicht immer, von koronalen Massenauswürfen begleitet. Dabei löst sich unter explosionsartiger Freisetzung grosser Energiemengen eine röhrenförmige magnetische Struktur von der Sonne und wird in den interplanetaren Raum geschleudert. Diese magnetische Struktur enthält Milliarden von Tonnen solaren Materials. Während des solaren Aktivitätsminimums wird im Durchschnitt ein koronaler Massenauswurf pro Woche beobachtet, um das Aktivitätsmaximum herum zwei bis drei pro Tag.
In Sonnennähe erreichen die koronalen Massenauswürfe Geschwindigkeiten bis zu 2000 km/s. Dies entspricht etwa 7 Mio. km/h. Da sie sich wesentlich schneller ausbreiten als der Sonnenwind, der mit 400 bis 800 km/s kontinuierlich von der Sonne weg strömt, bilden sie eine Stosswelle, die sich im interplanetaren Raum ausbreitet. An der Stosswelle werden weitere Teilchen beschleunigt, insbesondere Teilchen aus der Sonnenatmosphäre, Sonnenwind-Teilchen, Teilchen von früheren Flares und koronalen Massenauswürfen, ionisierte interstellare Teilchen sowie solare und galaktische kosmische Strahlungsteilchen.
Trifft die Stosswelle und der nachfolgende Massenauswurf auf die Erdmagnetosphäre, also auf den Raum, in dem das Erdmagnetfeld dominiert, wird der subsolare Punkt – Gleichgewicht zwischen dem Sonnenwind und der Erdmagnetosphäre, das normalerweise in einer Distanz von zehn Erdradienliegt – zur Erde hin verschoben. Die Magnetosphäre kann dadurch auf der Sonnenseite der Erde bis etwa 30 Prozent zusammengedrückt werden.
Oft werden als Folge eines solchen Magnetfeldsturms wunderschöne Polarlichter beobachtet. In der nordischen Sagenwelt, den Mythen der nordamerikanischen Indianer und Inuit, der im Norden Skandinaviens heimischen Samen sowie sibirischer Völker spielt das Polarlicht eine grosse Rolle. Oft wurde es als Tanz der Jungfrauen, der Walküren oder als Kampf der Götter und Geister gedeutet. Tatsächlich entsteht ein Polarlicht durch Stossanregung von neutralen Atomen, meist Teilen von Molekülen (zum Beispiel Sauerstoff, Stickstoff), durch energiereiche Elektronen und Protonen. Die angeregten Atome senden beim Übergang der eigenen Elektronen in den Grundzustand je nach Atom elektromagnetische Strahlung verschiedener Wellenlänge aus.
Während die Einflüsse dieser magnetischen Sturmphänomene auf die Natur, Tiere und Menschen nur begrenzt bekannt sind, stellen die energiereichen Teilchen ein ernstes Risiko für technische Einrichtungen dar, da sie zum Beispiel Elektronikbauteile von Satelliten und Raumsonden zerstören können.
Durch den massiven Teilchensturm am 24. März 1991 wurden Son-nensegel und Elektronik von mehreren Satelliten massiv beschädigt, und ein Satellit,
Marecs-A, fiel total aus. Anfang März 1989 zerstörten induzierte Ströme einen Transformator in einem Kernkraftwerk in New Jer-sey, USA. Derselbe Sturm hatte zur Folge, dass in der kanadischen Provinz Quebec Millionen von Menschen für Stunden ohne Strom waren. Oft sind auch Computersysteme an Bord von Flugzeugen, Eisenbahnsignalanlagen, Telekommunikationsverbindungen und Erdölpipelines betroffen.
Vor einigen Jahren wurde für diese Phänomene eine neue Bezeichnung geschaffen: Der Begriff »Weltraumwetter« beschreibt Zustände und Vorgänge auf der Sonne und im Sonnenwind, im interplanetaren Raum, in der Magnetosphäre, Ionosphäre und Thermosphäre, welche die Technologie im Raum und auf der Erde beeinflussen und das Lebenund die menschliche Gesundheit gefährden können (frei übersetztes Zitat von J. Freeman, 1995).
Bereits am 1. September 1859 beobachtete Richard Carrington mit seinem Sonnenteleskop eine gewaltige Explosion auf der Sonne. Dies war eines der intensivsten Flares überhaupt. Als knapp 20 Stunden darauf die Kompassnadeln „verrückt spielten“, vermutete er einen Zusammenhang. Die Ursache der geomagnetischen Stürme, die koronalen Massenauswürfe,wurde aber erst 1971 mit Koronographen auf der Raumsonde
OSO 7 (7th Orbiting Solar Observatory) entdeckt. Koronale Massenauswürfe sind im ultravioletten Licht sichtbar und wegen der Absorption der UV- und Röntgenstrahlung durch die Erdatmosphäre von der Erde aus nicht beobachtbar. Mit Hilfe von Instrumenten auf der Raumsonde SOHO (Solar and Heliospheric Observatory) [4] können Flares und koronale Massenauswürfe seit 1996 rund um die Uhr direkt beobachtet werden. Aus den Messdaten kann abgeschätzt werden, ob ein Massenauswurf auf die Erde gerichtet ist. Auch die ungefähre Ankunftszeit der Stosswelle lässt sich berechnen. Durch solche Beobachtungen entstehen verschiedene Weltraum-Wetterberichte, zum Beispiel derjenige des NASA-Weltraum-Wetterdienstes [5].
Eine weitere Methode für eine Frühwarnung kommt aus dem Gebiet der hochenergetischen kosmischen Teilchenstrahlung, die durch magnetische Strukturen im interplanetaren Raum moduliert wird. Die kosmische Strahlung wird seit 1956 mit einem weltweiten Netz von Neutronenmonitoren kontinuierlich registriert. Die galaktische kosmische Strahlung fällt isotrop, also von allen Seiten gleich, in das Sonnensystem ein. Eine räumlich ungleich verteilte Intensität wenige Stunden vor dem Auftreffen der kosmischen Strahlung kann bei starken Ereignissen auf die Ankunft einer magnetischen Störung im Raum aufmerksam machen. Am 24. März 1991 registrierten 31 Neutronenmonitore vor Ankunft der Stosswelle einen Anstieg der kosmischen Strahlungsintensität. Bei 15 europäischen und osteuropäischen Stationen wurde hingegen kein Anstieg verzeichnet. Die Analyse des Anstieges identifizierte einen hochenergetischen, anisotropen Teilchenfluss, welcher von der der Sonne abgewandten Seite der Erde kam.

Das »Bastille«-Ereignis