Der alte Mann und die Katze

Die Sonne schien durch die Blätter und zeichnete ein Muster an die Wand. Der alte Mann erhob schwerfällig sich und trat auf Veranda hinaus. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. Er konnte den Regen riechen. 'Endlich', dachte er, 'das wurde auch Zeit.'
Seit Wochen war kein einziger Tropfen gefallen. Die Felder waren gelb geworden, und der Boden rissig. Als er vor ein paar Tagen Wasser holen wollte, um die Rosen zu giessen, fühlte er wie gewohnt das Quietschen der Pumpe, aber ausser ein paar Tropfen Wasser gab sie nichts mehr her. “Ach, Klara”, brummelte er, “was soll ich tun. Deine Rosen blühen so schön. Aber die Regentonne ist leer. Könntest du nicht für etwas Regen sorgen?”, er schaute verschmitzt zum Himmel.
Klara war fast zehn Jahre zuvor gestorben. Anfänglich vermisste er sie so sehr, dass er meinte, nicht mehr weiterleben zu können. Aber als der Schmerz mit der Zeit weniger wurde, bemerkte er, dass seine Frau immer noch um ihn war. Er fühlte ihre Anwesenheit oft. Und manchmal träumte er von ihr. Sie sah glücklich aus in seinen Träumen. Ihr langes weisses Haar fiel in Wellen auf ihre Schulter, sie trug ein einfaches weisses Kleid und war barfuss und etwas Strahlendes ging von ihr aus.
Er setzte sich auf der Veranda in den Schaukelstuhl. Seine Katze lag nicht weit von ihm entfernt zusammengerollt auf dem breiten Geländer. “Wir werden alt”, sagte er, beugte sich vor und streichelte ihr über den Kopf. Sie öffnete die Augen, sah ihn kurz an, stand dann auf, reckte und streckte sich ausgiebig, rollte sich wieder zusammen und schlief weiter.
Es war kühl geworden. In diesen Tagen war es zwar tagsüber noch schön warm, aber die Nacht brach früh herein. Er setzte sich im Wohnzimmer in seinen Sessel, und zündete seine Pfeife an. Auf dem kleinen Tisch neben dem Sessel standen eine Kanne mit Tee und Klaras Lieblingstasse. Er hatte sich früher nie viel aus Tee gemacht. Aber seit Klara nicht mehr da war, trank er jeden Abend von ihrem Tee, und proteste ihr vor dem ersten Schluck jeweils kurz zu. 'Was bin ich doch für ein komischer Kauz geworden', ging ihm durch den Kopf. Er griff ins Bücherregal, und holte seine Lieblingsschallplatte hervor. Er strich sanft mit den Fingern über die Hülle und schloss die Augen. Er hatte schon seit längerer Zeit Probleme mit seinem Gehör. Das Gesprochene kam immer undeutlicher bei ihm an, und die Musik wurde bald zu einem fast unerträglichen Scheppern. Vorallem der Verlust der Musik machte ihn traurig und wütend. Bis zu dem Tag, als er entdeckte, dass seine Musik in seinem Kopf gespeichert war. Er konnte sich an jedes Stück erinnern, an jeden Takt. Es klang wunderbar.
Seine Katze sprang auf seinen Schoss. “Na, bereit für den Ausgang? Und Hunger hast du wohl auch schon wieder?”. Als hätte sie jedes Wort verstanden, sprang sie gleich hinunter und lief schnurstraks in die Küche. Sie sprang auf die Anrichte und setzte sich. Als der alte Mann herein kam, sah sie hn an, als wollte sie sagen: “Das hat aber gedauert!”. Er nahm eine Büchse Katzenfutter hervor. “Whiskas”, brummelte er, “So ein Blödsinn. - Oh, mit Rind und Erbsen. Aber dir ist ja egal, was da drin ist.” Er tätschelte ihr den Kopf. Bltzschnell hob sie ihre rechte Pfote und schlug ihm mit ausgefahrenen Krallen auf die Hand. “Aua! - Du bist und bleibst eine Diva. - So.” Er hatte den Fressnapf hervorgeholt und stellte ihn vor sie hin. “Mehr als eine halbe Büchse gibt es nicht.” Er schaute sie streng an. Aber sie hatte sich schon über das Futter hergemacht und beachtete ihn nicht weiter.
Die Katze wohnte schon lange bei ihm, oder wie sich später herausstellen sollte, nahm gleich von Anfang an das Haus in Beschlag. Aber er konnte sich noch gut erinnern, als er sie damals zu sich geholt hat. Sie war klein und zierlich. Weiss, und grau und beige getigert. Und sie hatte grüngraue Augen, die manchmal mehr grün, manchmal mehr grau waren. Er hatte nie herausgefunden, woran es lag, dass sich die Farbe etwas änderte. Waren sie hell, wenn sie zufrieden war, und ihn mit leicht geschlossenen Augen arrogant ansah? Und dunkel, wenn sie wütend war, weil sie kein weiteres Mal Futter bekam, obwohl sie schon für drei gefressen hatte.
Während des ersten Monats musste sie im Haus bleiben. Der alte Mann stellte sich damals vor, dass sie sich furchtbar langweilen musste. Wenn er gegen Abend nach Haus kam, sass sie im kleinen Flur, und schaute ihn mit leicht geneigtem Kopf an: “Na, auch wieder mal da?”. 'Ein richtiges Persönchen', ging ihm jedes Mal durch den Kopf. Und aus dem Persönchen wurde schon bald eine Persönlichkeit. Die Katze wuchs. Sie hörte auf, das Bett des alten Mannes mit dem Katzenklo zu verwechseln. Und sie fing an, den Garten zu erkunden. Bei einem ihrer ersten Spaziergänge traf sie auf die Konkurrenz von gegenüber und liess sich von ihr über den Rasen jagen. Aber je mehr sie wuchs, desto couragierter wurde er. Und bald verteidigte sie ihr Revier problemlos.
An einem Sommermorgen – es war Frühling als die Katze eingezogen war – holte der alte Mann die Zeitung aus dem Briefkasten, und gerade als er die Haustür schliessen wollte, kam sie angerannt, ganz aufgeregt, mit etwas Grauem im Mund. Sie legte ihm unglaublich stolz ihre erste Maus zu Füssen. Und er lobte sie ausgiebig. Denn er war nicht weniger stolz auf die Mäusefängerin als sie auf sich.
Er hatte schon bald im Badezimmerfenster eine kleine Tür montiert und davor eine selbstgebaute Leiter. Denn ihr Freiheitsdrang war schon früh spürbar, Und so war die Tür immer offen, und sie konnte kommen und gehen konnte, wie es ihr beliebte. Was sie auch tat.
“Deine Katze ist schlecht erzogen”, meinte mal ein Freund, als sie bei einem Glas Wein zusammensassen. Und er fügte hinzu:: “Meine Nachbarin ruft jeden Abend ihre Katzen. Und sie kommen, und über Nacht bleiben sie im Haus.” - “Was soll ich denn tun? Sie geht nun mal gerne in den Ausgang, Mäuse aufreissen.”, der alte Mann lachte schallend, “Das kann ich ihr nicht verbieten.”
Ihre Spaziergänge wurden immer ausgehnter. Und immer öfters tauchte sie in Begleitung wieder auf. Sie hörte bald auf, seine Beute dekorativ auf die Fussmatte vor der Haustür zu legen, und brachte stattdessen ihre Trophäen in die Wohnung. Erst waren die Mäuse tot und lagen herum, meist vor dem Ofen, oder ein Blutfleck und die ungeniessbare Gallenblase erinnerten an ihre kurze Anwesenheit. Später ging sie dann dazu über, die Pelzknäuel lebend ins Haus zu bringen.
Von diesem Moment an wusste der alte Mann nie mehr genau, wieviele Untermieter er hatte. Und er gewöhnte sich daran, seine Schlafzimmertüre zu schliessen, nachdem seine Katze ihn einmal nachts um vier weckte, als sie durchnässt bis auf die Haus mit Mordlust in den Augen eine Maus über sein Bett jagte. Und morgens inspizierte er zuerst den kurzen Weg zum Bad, um nicht mit blossen Füsse auf eine tote Maus oder deren Ueberreste zu treten.
Auch wenn er sich oft ärgerte, richtig übel nahm er ihr ihre Schandtaten nie. Ob sie nun einen Vogel anschleppte und damit im Maul durch das Haus stolzierte, und er trotz Empörung nicht anders konnte, als zu lachen. Oder ob sie eine besonders aktive Maus entwischen liess und die sich in der Waschmaschine einnistete, den Putzlappen, der davor lag, zersetze, damit ein Nest baute und den Wasserschlauch und einen Teil der Elektronik anknabberte, was neben einer überfluteten Küche auch eine happige Rechnung für die Reparatur einbrachte. “Dafür ist der Boden wieder mal richtig sauber.”. Er seufzte, und betrachtet die Katze, die friedlich auf dem Sessel schlief. Ab und zu zuckten ihre Pfoten. “Und, wovon trüumst du denn? Von einer Kater, von Mäusen?”
Seit ihn sein Rücken immer öfters schmerzte, fiel es ihm immer schwerer, die Mäuse im Haus von Hand einzufangen. Und da er von Mausefallen nichts hielt, liess er die Nager gewähren. Er hatte sich schon bald daran gewöhnt, dass ihm die eine oder andere Maus am Abend Gesellschaft leistete. Sei es auch nur, um ihm ein Stück seines Abendbrotes zu klauen. 'Ihr dreisten Viecher', dachte er jedes Mal. Aber er konnte ihnen nicht böse sein. Auch seiner Katze nicht. Er hatte eigentlich gehofft, sie würde in ihren alten Tagen auch etwas ruhiger werden. Aber ihr Jagdinstinkt war ungebrochen. Und sie war immer noch flink. Und so kamen und gingen die Mäuse auch jetzt noch, tagein, tagaus.
Die Katze war nach einem kurzen Nickerchen in der Dunkelheit verschwunden. Der alte Mann zog sich eine Jacke über und setzte sich noch einmal auf die Veranda. Der Himmel war wolkenverhangen, kein einziger Sterne war zu sehen. Nur der Vollmond zeigte sich kurz in einer Wolkenlücke. Bald darauf fielen die ersten Tropfen. Er lachte erleichtert, breitete die Arme aus und hob seinen Kopf. “Siehst du, Klara, ich irre mich nie. Auch wenn du es mir immer noch nicht richtig glaubst, ich kann den Regen riechen, bevor er da ist.”